Vöslau 1919 – 2019

78 Jahre gelebte Demokratie

Heidemarie Zehetner, Gerhard Baumgartner

Vor 100 Jahren, nämlich am 31. Juli 1919, fand in Vöslau die erste Sitzung eines demokratisch gewählten Gemeinderates statt. Anlass für einen kurzen Rückblick:

Nach dem 1. Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Monarchie im Herbst 1918 herrscht allgemeines Chaos. Auch in Vöslau hungern und frieren die Menschen. In dieser krisenhaften Zeit liegt es an den (noch unter dem Kaiser) gewählten Gemeindevertretungen[1] für das Überleben ihrer Bevölkerung zu sorgen. So muss der Vöslauer Bürgermeister Rudolf Reiter ‑ gemeinsam mit der örtlichen Feuerwehr – den Plünderungen des vom k. u. k. Armeeoberkommando („Quartiermeisterabteilung“) verlassenen Lagers Einhalt gebieten und für eine geordnete Verteilung der dort sichergestellten Vorräte sorgen.[2]

Um die politische Lage in Vöslau in diesen bewegten Zeiten möglichst stabil zu halten, bildet sich – noch vor der ersten Gemeinderatswahl ‑ die aus Honoratioren bestehende Gemeindevertretung freiwillig um. Auf dringendes Anraten des Wohlfahrtsausschusses des politischen Bezirkes Baden sollen die politischen Parteien zu je einem Drittel in der Gemeindevertretung vertreten sein[3]. Es soll jetzt allen politischen Parteien die gleiche Anzahl von Mandaten eingeräumt werden. Noch bevor die Frauen das aktive und passive Wahlrecht erhalten, entsendet die Sozialdemokratischen Partei (SDAP) die damals 34jährigen Anna Suck als erste Frau in die Vöslauer Gemeindevertretung[4]. Am 29. Dezember 1918 findet die konstituierende Sitzung statt, bei der wieder Rudolf Reiter zum Bürgermeister gewählt wird[5].

Im Mai 1919 wird mit Franz Pexa erstmals ein Sozialdemokrat Bürgermeister. Er wird aber bereits im Dezember 1920 von Rudolf Frimmel (ebenfalls SDAP) abgelöst werden[6].

Am 22. Juni 1919 findet in Vöslau die erste Gemeinderatswahl statt, bei der auch alle Frauen wahlberechtigt sind und jede Stimme (unabhängig von Vermögen und Bildung des/der Wahlberechtigten) gleich viel wert ist. Sie ergibt 12 sozialdemokratische (SDAP), 6 deutschnationale und 6 christlich-soziale (CSP) Mandate. Mit Theresia Schreiber (SDAP) und Marie Scherz (CSP) ziehen nunmehr auch zwei Frauen in den Gemeinderat ein[7].

Auch die nächste Gemeinderatswahl am 24. April 1921 ergibt für die Sozialdemokraten eine absolute Mehrheit, die sie in der Folge auch behalten werden. Die erstmals in Vöslau antretende KPÖ erhält hingegen bloß 14 Stimmen und damit kein Mandat[8]. Mit der Sozialdemokratin Emilie Toda wird erstmals eine Frau geschäftsführende Gemeinderätin. Sie wird dem Gemeinderat während der nächsten 10 Jahre als einzige (und für lange Zeit auch letzte) Frau angehören.[9]

Die Wahlen von 1924 und 1929 bringen keine wesentlichen Änderungen im Gemeinderat. Allerdings gelingt es 1929 der NSDAP gleich bei ihrer ersten Kandidatur, ein Mandat zu erringen.[10]

In den Folgejahren verhärten sich auch in Vöslau die politischen Fronten. Im Mai 1933 wird die Kommunistische Partei verboten, was zu Razzien und Verhaftungen im gesamten Bezirk und auch in Vöslau führt. Einen Monat später wird die NSDAP verboten und das Mandat des einzigen nationalsozialistischen Gemeinderates erlischt. Im Zuge der Februarkämpfe 1934 besetzt die Heimwehr das damalige Rathaus. Rudolf Frimmel wird durch die nunmehr ständestaatliche Behörde seines Amtes als Bürgermeister enthoben. Die Bezirkshauptmannschaft setzt den Vöslauer Rechtsanwalt und CSP-Gemeinderat Dr. Otto Berger zum vorläufigen Gemeindeverwalter ein. Als solcher ist er ausschließlich der Landesregierung, nicht aber der Vöslauer Bevölkerung verantwortlich. Im Vöslauer Gemeinderat verlieren die 15 sozialdemokratischen Gemeinderäte ihr Mandat, sodass dieser (anders als etwa in Baden) beschlussunfähig wird[11].

Am 30. Dezember 1934 wird auch der Vöslauer Gemeinderat durch den ständestaatlichen „Gemeindetag“ ersetzt, der aus Männern verschiedener Berufsgruppen gebildet wird. Friedrich Hofmannrichter wird zum Bürgermeister ernannt[12].

Fünf Tage nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 12. März 1938 konstituiert sich ein neuer provisorischer Gemeinderat, dem vorwiegend Nationalsozialisten, aber zunächst auch Friedrich Hofmannrichter (nunmehr als „Amtswalter“) angehören. In der Folge haben die Nationalsozialisten das Amt des Bürgermeisters inne. Während dieser Zeit kommt es auch in Vöslau zur grausamen Verfolgung von Menschen „jüdischer Herkunft“ und politisch Andersdenkender.[13]

Nach sieben langen Jahren ist der nationalsozialistische Terror vorbei. Bereits drei Tage nachdem Vöslau kampflos von den russischen Truppen übernommen worden ist, setzt der russische Ortskommandant im April 1945 (den letzten demokratisch gewählten und 1934 abberufenen Sozialdemokraten) Rudolf Frimmel wieder als Bürgermeister ein. Rudolf Frimmel wird bei seiner Tätigkeit von einem Provisorischen Gemeindeausschuss unterstützt. Wie auch nach dem 1. Weltkrieg ist es wieder Aufgabe der Vöslauer Gemeindevertretung, der Bevölkerung das Überleben zu sichern, indem sie – unter zum Teil abenteuerlichen Umständen ‑ Lebensmittel und Wohnraum beschafft und verteilt.[14]

Die erste Gemeinderatswahl nach dem 2. Weltkrieg findet in Vöslau erst im Frühjahr 1950 statt. Sie führt mit 15 Mandaten zu einer absoluten Mehrheit für die SPÖ. Die ÖVP erhält 7 und die KPÖ 2 Mandate. Mit Anna Holescsak, bereits Mitglied des Provisorischen Gemeindeausschusses, und Anna Welz ziehen auch wieder zwei Frauen in den Gemeinderat ein.

Bei den nächsten Wahlen 1960 tritt die FPÖ erstmals bei den Gemeinderatswahlen an und erreicht drei von 26 Mandaten. Die SPÖ stellt mit Josef Erl wieder den Bürgermeister. Im April 1985 kandidiert erstmals die Vöslauer Liste Flammer und erreicht gleich 24 von 37 Mandaten[15]. Sie wird in der Folge mit Alfred Flammer und Christoph Prinz die Bürgermeister stellen. Seit 2010 sind auch die Grünen im Gemeinderat vertreten[16]. Dem Gemeinderat der Stadt Bad Vöslau gehören derzeit neun Frauen[17], dem Stadtrat zwei Frauen an[18]. Das entspricht in etwa 20 % bzw. 30 % der Gesamtmitglieder der jeweiligen Vertretungskörper.

Die Geschichte zeigt, vor welch großen Herausforderungen die jeweilige Vöslauer Gemeindevertretung und ihre Mitglieder oft gestanden ist. Sie lehrt uns auch, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass die Bewohnerinnen und Bewohner einer Gemeinde selbst ihre Gemeindevertretung wählen und damit auch die Gemeindepolitik mitgestalten können. Es braucht dafür jedenfalls Menschen mit Idealismus und Engagement, mit sozialer Kompetenz und hoher Frustrationstoleranz. Immer wieder haben sich in Vöslau solche Menschen gefunden. Ihnen, die sich in vielfältiger Weise – mit und ohne Amt – für die Belange unserer Gemeinde eingesetzt haben bzw. einsetzen, gebührt unser Dank!

 


[1] Gewählte Gemeindevertretungen gab es bereits ab 1850. Das aktive und passive Wahlrecht war aber vom Vermögen, der Bildung und vom Geschlecht der Wahlberechtigten abhängig. Frauen waren in der Regel vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen. Es war ihnen auch nicht erlaubt, politische Ämter (z.B. im Gemeinderat) zu übernehmen. Darüber hinaus waren auch die abgegebenen Stimmen je nach gesellschaftlicher Stellung (Kurienzugehörigkeit) des Wahlberechtigten unterschiedlich viel wert. So hatte die Stimme eines Großgrundbesitzers wesentlich mehr Gewicht als etwa jene eines Lehrers. In Vöslau ist nur von der Gutsbesitzerin Henriette Freiin von Pereira-Arnstein, bekannt, dass sie bei einer Kommunalwahl (1850) für den „zweiten Wahlkörper“ wahlberechtigt war. Allerdings durfte sie als Frau nicht selbst die Stimme abgeben, sondern musste dafür einen Bevollmächtigten ernennen (vgl. zu all dem Oliver Kühschelm, Bad Vöslau und seine Bürger. 1850 bis 1914, Bad Vöslau, 1996, 22 und 269ff).
[2] Vgl. Gedenkbuch Vöslau, Transkription Gerhard Baumgartner (2007), zu 1918
[3] Protokoll des Vöslauer Gemeindeausschusses vom 18. 11. 1918, Pt. 6
[4] Badener Zeitung vom 25.12.1918
[5] Gedenkbuch Vöslau, aaO, 1918 sowie Protokoll des Vöslauer Gemeindeausschusses vom 10. 1. 1919
[6] Bad Vöslau 1938 – 1945, Hrsg.von der Stadtgemeinde Bad Vöslau, 20
[7] Bad Vöslau 1938 – 1945, Hrsg.von der Stadtgemeinde Bad Vöslau, 20
[8] Bad Vöslau 1938 – 1945, Hrsg.von der Stadtgemeinde Bad Vöslau, 23f
[9] Gedenkbuch Vöslau, 1931
[10] Bad Vöslau 1938 – 1945, Hrsg.von der Stadtgemeinde Bad Vöslau, 24f
[11] Bad Vöslau 1938 – 1945, Hrsg.von der Stadtgemeinde Bad Vöslau, 32ff
[12] Bad Vöslau 1938 – 1945, Hrsg.von der Stadtgemeinde Bad Vöslau, 46ff
[13] Bad Vöslau 1938 – 1945, Hrsg.von der Stadtgemeinde Bad Vöslau, 50ff
[14] Aus der Not zum Wohlstand. Fortsetzung des Vöslauer Gedenkbuches 1945 bis 1985
[15] https://www.listeflammer.at/wp-content/uploads/2013/09/Chronik-1985.pdf (6.8.2019)
[16] https://badvoeslau.gruene.at/partei (6.8.2019)
[17] https://www.badvoeslau.at/de/rathaus/politik/gemeinderat/gemeinderte/ (6.8.2019)
[18] https://www.badvoeslau.at/de/rathaus/politik/stadtrat/ (6.8.2019)